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„Es war doch keine Vergewaltigung“- Außerordentliche Kündigung wegen sexueller Belästigung

Eine außerordentliche Kündigung kann gerechtfertigt sein, wenn ein Arbeitnehmer auf einer dienstlich veranlassten Reise eine Arbeitskollegin gegen ihren Willen zu küssen versucht und küsst.

(Leitsätze der Verfasserin)
LAG Köln Urteil vom 01.04.2021 – 8 Sa 798/20

Der Kläger (geb. 1976, verh., 2 unterhaltsberechtigte Kinder) war seit dem 01.11.1996 als Electronic Data Interchange Manager bei der Beklagten beschäftigt.
Frau L., die noch in der Probezeit war, gehörte demselben Team an wie der Kläger. Beide nahmen an einer Teamklausur teil. Am Abend traf sich ein Teil des Teams in der Hotelbar. Gegen 03:45 Uhr hielten sich dort noch der Kläger, Frau L und Frau B auf.
Nach der Teamklausur berichtete Frau L ihrem Vorgesetzten, sie und der Kläger seien gemeinsam zu den Zimmern gegangen. Im Aufzug habe der Kläger erklärt, er wolle noch zu ihr kommen. Sie habe das abgelehnt; dennoch sei er ihr zu ihrer Zimmertür gefolgt. Dort habe er sie zu sich herangezogen und versucht, sie zu küssen. Sie habe ihn weggedrückt, woraufhin er sie erneut an sich herangezogen habe. Nun sei es ihm gelungen, sie zu küssen. Sie habe ihn wieder weggedrückt und klar „Nein“ gesagt. Es sei ihr dann gelungen, die Zimmertür zu öffnen, schnell hineinzugehen und die Tür von innen zu verschließen.
Frau L legte dem Vorgesetzten eine WhatsApp Kommunikation zwischen dem Kläger und ihr vor, die ab ca. 03:57 Uhr stattgefunden hatte. Darin äußerte der Kläger, er habe es nicht böse gemeint und bat darum, Frau L aufsuchen zu dürfen. Diese ging nicht darauf ein und erklärte, sie habe „den Abend nicht cool gefunden“.
Nach Durchführung eines Personalgesprächs kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und vorsorglich fristgerecht, wogegen der Kläger Klage erhob.
In der Beweisaufnahme sagte Frau B. aus, sie sei bei dem Aufenthalt vor der Hotel-bar zugegen gewesen und habe den Kläger aufgefordert, aufzuhören. Zwei weitere Zeugen sagten aus, in dem Personalgespräch habe der Kläger das Geschehen im Aufzug und im Flur vor dem Zimmer von Frau L eingeräumt und dann erklärt, er habe sie ja schließlich nicht vergewaltigt.
Die Klage hatte weder vor dem Arbeitsgericht noch vor dem LAG Köln Erfolg. Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.
In seinem Urteil knüpft das LAG an die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) an. Danach ist zunächst zu prüfen, ob ein Sachverhalt vor-liegt, der „an sich“ geeignet ist, einen wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung abzugeben. Wenn dies zu bejahen ist, ist eine umfassende Einzelfallprüfung und Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei bedarf es vor Ausspruch einer Kündigung grundsätzlich einer vorherigen Abmahnung. Allerdings gilt dies nicht, wenn es sich um eine schwerwiegende Pflichtverletzung handelt.
Auf dieser Grundlage würdigt das LAG zunächst die Aussage von Frau L, die es für glaubhaft hält. Damit ergebe sich, dass der Kläger seine Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) verletzt habe. Die Pflichtverletzung sei auch schwerwiegend, so dass eine vorherige Abmahnung entbehrlich sei. Denn der Kläger habe Frau L verfolgt, bedrängt und geküsst, obwohl sie ihm ausdrücklich erklärt habe, dass sie das nicht wolle. Nur durch Flucht in ihr Hotelzimmer habe sie sich ihm entziehen können. Da er ihr nicht nur körperlich überlegen sei, sondern auch gewusst habe, dass sie sich noch in der Probezeit befinde, habe er seine stärkere Position ihr gegenüber ausgenutzt. Seine nachträglichen Entschuldigungen seien nicht geeignet, die vorher begangene schwere Pflichtverletzung ungeschehen zu machen.

Fazit:
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten. Das bestimmte bereits das Beschäftigtenschutzgesetz vom 24.6.1994 und ist nun in §§ 3 Abs. 4, 7 Abs. 3 AGG geregelt. Gut Nachvollziehbar ist die Wertung des LAG, dass die Pflichtverletzung schwerwiegend war, denn der Kläger hatte Frau L gegen ihren (mehrfach) erklärten Willen in eine Lage gebracht, in der sie sich nicht ohne weiteres seinem sexuellen Angriff entziehen konnte, und setzte zur Überwindung ihres Widerstandes sogar körperliche Kraft ein. Zutreffend ist auch die Wertung des LAG, dass der Kläger als langjährig bei der Beklagten beschäftigter Arbeitnehmer seine stärkere Position gegenüber Frau L ausgenutzt hat. Mit zutreffenden Überlegungen ist das LAG daher zu dem Schluss gelangt, dass es der Arbeitgeberin nicht zumutbar war, den Kläger zunächst abzumahnen.

Rechtsfehlerhaft wird jedoch nicht geprüft, ob es zumutbar war, die Kündigungsfrist einzuhalten. Da der Kläger mehr als 20 Jahre bei der Beklagten beschäftigt und zu früheren Pflichtverletzungen und Abmahnungen nichts vorgetragen war, hat das LAG diesen wichtigen Gesichtspunkte bei der Interessenabwägung außer Acht gelassen (vgl. BAG, Urteil vom 29.06.2017 – 2 AZR 302/16).

Ingrid Heinlein, Vors. Richterin am LAG a.D.,
Rechtsanwältin
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